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       10. Februar 2015

Mein Auto, meine Daten

Politik muss Datenerhebung im Kfz reglementieren

Wenn Deutschlands Autofahrer über die Verwendung ihrer Autodaten nicht selbst bestimmen können, drohen ihnen unkalkulierbare Risiken: Es besteht nicht nur die Möglichkeit, dass sie sich zu gläsernen Autofahrern entwickeln können, sondern auch die Gefahr, dass sie wegen der Monopolsituation der Hersteller tiefer in die Tasche greifen müssen, wenn es nach dem Verkauf des Fahrzeugs um Reparatur und Service geht.

Deutschlands Autofahrer dürfen die Datenhoheit in ihrem Fahrzeug nicht verlieren. Das heißt, ihnen muss die Entscheidung darüber vorbehalten bleiben, was mit den Daten geschieht, die von ihrer Autoelektronik erhoben werden. Also an wen diese Informationen gelangen und was mit ihnen geschehen darf. Zu diesem Fazit gelangten jetzt übereinstimmend die Teilnehmer einer Diskussionsveranstaltung des „Goslar Instituts für verbrauchergerechtes Versichern“ zum Thema „Der Auto(-matisierte) Fahrer – ferngesteuert und abgezockt?“. Die Experten forderten daher schnellstmöglich regulatorische Eingriffe vonseiten des Gesetzgebers, am besten gleich auf EU-Ebene, um den „gläsernen Autofahrer“ zu verhindern und zu gewährleisten, dass die Automobilhersteller mit den in ihren Fahrzeugen generierten Daten nicht nach eigenem Gutdünken verfahren.

Dabei sei Eile geboten, betonte das Vorstandsmitglied der HUK-COBURG Versicherungsgruppe, Klaus-Jürgen Heitmann. Denn wenn sich eine Monopolsituation zu lange festige, falle es später umso schwerer, wieder einen fairen Wettbewerb herzustellen, sagte er. Sollte ein entsprechendes Reglement zur Datenerhebung in Kraftfahrzeugen vonseiten des Gesetzgebers zu lange auf sich warten lassen, könne es am Ende möglicherweise zu spät sein, um den Autofahrern zu ihrem Recht an ihren eigenen Daten zu verhelfen, warnte Heitmann. Dann würde die sogenannte Telematik im Verkehrsbereich neben allen unbestreitbaren Vorteilen – wie bessere Verkehrslenkung, mehr Sicherheit und Komfort – als negative Begleiterscheinung den „gläsernen Kraftfahrer“ kreieren, der von extern ausgeforscht und (fern-)gesteuert wird.

Wie berechtigt und enorm drängend diese Bedenken sind, verdeutlichte der Vizepräsident des ADAC, Ulrich Klaus Becker: „Ein moderner Golf sammelt heute fast schon mehr Informationen als ein Raumschiff“, stellte er sinnbildlich fest. „Unsere Autos sind heute bereits voll von elektronischen Mess- und Regelsystemen, bei deren Arbeit eine Vielzahl von Daten anfallen“, pflichtete ihm Professor Dr. Willi Diez, Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft (IFA) der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geisslingen, bei. Die Zusammenführung und Auswertung dieser wachsenden Datenflut („Big Data“) gebe dann mehr Auskunft über den Auto-Kunden, als vielen von ihnen lieb wäre, verdeutlichte Professor Diez. Nach seiner Einschätzung übertrifft dieses „Big Data“ die Visionen des George Orwell in seinem Roman „1984“ inzwischen bei Weitem.

Expertenrunde um Carola Ferstl bei den 53. Goslaer Verkehrsgerichtstagen Foto: Andrea Stein

Der Wissenschaftler hob allerdings ebenfalls die positiven Aspekte der Datengenerierung im Auto hervor: den Zugewinn an Sicherheit, Komfort und Umweltverträglichkeit etwa. Er verglich das dabei entstehende Problemfeld mit dem einer Arznei und ihren Nebenwirkungen. Aus den in einem Auto anfallenden Informationen können nämlich auch Verhaltens- und Bewegungsprofile des jeweiligen Fahrers abgeleitet werden, die für bestimmte Unternehmen äußerst interessant sind. Bislang haben allein die Fahrzeughersteller Zugriff auf diese Daten und sie wollen erreichen, dass dies möglichst auch so bleibt. Denn mit diesen Informationen können sie sich Vorteile im Wettbewerb, insbesondere auf dem Werkstatt- und Ersatzteilmarkt verschaffen, befürchten Experten.

Und hierbei geht es um richtig viel Geld, wie Studien belegen: Danach erzielen die Automobilhersteller und -händler heutzutage zwischen 75 und 80 Prozent ihrer Gewinne mit Aftersales-Produkten und -Dienstleistungen. In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, dass hierzulande auf diesem Markt etwa 30 Milliarden Euro jährlich umgesetzt werden, mit weiterhin steigender Tendenz. Dem steht – zumindest in Deutschland – ein stagnierender Neufahrzeugmarkt gegenüber.

Kein Wunder also, wenn die Automobilunternehmen versuchen, sich die Vorherrschaft über die in Kfz gesammelten Daten zu sichern und sich so der Wettbewerber im Werkstatt- und Ersatzteilmarkt zu erwehren. Zumal sich um diesen sehr profitablen Markt nicht nur die Markenkonkurrenz, sondern auch unabhängige Ersatzteilanbieter, freie Werkstätten, Automobilklubs etc. und letztlich auch Versicherungen balgen. Sie alle befürchten – übrigens in völligem Einklang mit vielen Experten und Marktbeobachtern –, dass, wenn erst einmal die Hoheit über die Fahrzeugdaten aufseiten der Autohersteller etabliert sein sollte, diese sich nach und nach auch ein Monopol im Aftersales-Markt aufbauen können – mit den daraus folgenden Nachteilen für die Verbraucher.

Die Steuerung des Kundenverhaltens durch den Autohersteller funktioniert dann so oder ähnlich: Im Display des Autos erscheint ein Hinweis, dass ein Ölwechsel anstehe, zu dem sich der Fahrer bitte in eine bestimmte Marken(!)-Werkstatt begeben möge. Oder ein Reifenwechsel oder neue Bremsbeläge oder oder… Über ein Datenmonopol könnten die Autobauer eine derart intensive „Kundenbindung“ aufbauen, die zu einem Eingriff in den freien Wettbewerb führen würde, wie Rechtsanwalt Dr. Thomas Funke, Leiter der Kartellrechtspraxis der internationalen Anwaltskanzlei Osborne Clarke, beim aktuellen Goslar Diskurs feststellte. Für ihn kann – sowohl aus wettbewerbsrechtlicher wie auch aus datenschutzrechtlicher Sicht – die Maxime nur lauten: Mein Auto, meine Daten! Will heißen: Alle personenbezogenen Daten, die im Fahrzeug anfallen, können erst nach einer entsprechenden Einverständniserklärung des Kunden genutzt werden.

Der Verbraucher entscheidet, wer die Daten erhält – und zu welchem Zweck. Also zum Beispiel für den Fall, dass der Autofahrer einen sogenannten Telematik-Tarif in der Kfz-Versicherung abschließen will, wie dies in anderen Ländern bereits vielfach angeboten wird. Bei solchen Verträgen hängt die Höhe der Prämie vom individuellen Fahrverhalten des Autofahrers ab, das von der Fahrzeugelektronik registriert und an den jeweiligen Versicherer übermittelt wird. Grundsätzlich dürfe die Alternative zu einem (vermeintlichen) Datenmonopol der Autohersteller aber auch nicht in einer unkontrollierten Öffnung des Zugangs zu allen diesen Daten für andere Marktteilnehmer bestehen, betonte Prof. Diez.

Einen gangbaren Weg, um einem Missbrauch der im Auto erhobenen Daten vorzubeugen, sähe Dr. Funke in der Einführung strengerer Aufklärungspflichten. Der Kunde müsse im Detail erfahren, welche Wahlmöglichkeiten er hat und welche Daten von der Elektronik seines Autos erhoben werden. Soweit diese wettbewerbsrelevant sind, müsse nach der Entscheidung des Verbrauchers ein diskriminierungsfreier Zugang möglich sein. Die staatliche Aufsicht müsse sowohl fairen Wettbewerb als auch die Sicherheit im vernetzten Fahrzeug gewährleisten, so Dr. Funke.

Das würde dazu führen, dass interessierte Dienstleister den Autofahrern Gegenleistungen anzubieten hätten für die Überlassung der Daten, prognostizierte der auf die Automobilwirtschaft spezialisierte Publizist Guido Reinking. Wie etwa als Vergünstigungen bei der Kfz-Versicherung, bei Ersatzteilen, Reparaturen etc. Aber auch in Form von Convenience-Dienstleistungen, wie Hinweisen auf den nächsten freien Parkplatz in der Nähe und anderen denkbaren Services, die im Zuge der fortschreitenden Vernetzung im Verkehrsbereich möglich werden. Die Vielzahl der Geschäftsmodelle, die zukünftig mit den im Auto eingesammelten Daten generiert werden können, sei heute noch gar nicht absehbar, hielt HUK-COBURG-Vorstand Klaus-Jürgen Heitmann dazu fest.

Wer sich mit der Datenfreigabe durch den Kunden Vorteile sichern will, soll dies nach Ansicht der Experten grundsätzlich tun können – aber nur nach entsprechender Einwilligung des Autofahrers, hoben sie unisono hervor. Und dieser soll in der Lage sein, seine Entscheidung darüber bewusst zu treffen, also in Kenntnis dessen, welche Daten von ihm, seinen Gewohnheiten und seinem Fahrverhalten erhoben und wofür sie verwendet werden. Als eine wesentliche Voraussetzung dafür regte Prof. Diez in Übereinstimmung mit den anderen Experten des Goslar Diskurs die Einführung einer Beratungspflicht mit entsprechenden Beratungsprotokollen an – so wie diese bei Anlage- und Versicherungsgeschäften unterdessen vorgeschrieben sind.

Doch die Politik scheine die Tragweite der Probleme, die sich mit der weiteren Verbreitung der Telematik im Verkehrssektor und den dabei anfallenden Datenmengen aufdrängen, noch nicht wirklich erkannt zu haben, bedauerten die Diskussionsteilnehmer. Dabei wachse bei den Verbrauchern der Widerstand, nach Google und Facebook nun auch noch im Auto Opfer der um sich greifenden Datensammelwut zu werden, hieß es, nur diesmal eben vonseiten der Automobilproduzenten.

Deshalb, und um einen diskriminierungsfreien Wettbewerb sicherzustellen, müssten die politisch Verantwortlichen bei diesem Thema schnellstmöglich „in die Gänge kommen“ und entsprechende Schutzmaßnahmen entwerfen, forderten die Experten. Dies sollte nach ihrer Einschätzung möglichst gleich auf EU-Ebene erfolgen, da es sich bei „Big Data“ im Auto ja nicht um eine rein nationale Problematik handele.



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